16. Oktober 2018 - von Claudia Posca
Tönend hallt die Jugend
Recklinghausen
Ausstellungstitel allerdings glänzen nicht immer damit lang bedacht und phantasievoll vergeben worden zu sein. Manchmal sitzt versteckt ein Quäntchen Hoffen drin, dass ein Großteil Publikum sowieso und überhaupt denkt, dass das, was über einer Präsentation steht, doch nicht viel mehr als ein erster Wink mit dem Zaunpfahl ist. Und es also auf nicht unbedingt viel Esprit im Ausstellungstitel ankommt.
Tja, und dann kommt ein Gregor Hildebrandt aus Berlin, der haut allen einen seltsam seltenen Ausstellungstitel um die Ohren, über den denkt man nach, ob man will oder nicht: „Tönend hallt die Jugend“.
Die soeben unter nämlichem Titel in der Kunsthalle Recklinghausen eröffnete Schau mit frühen und ganz frischen Bildern, Skulpturen und Installationen des 1974 in Bad Homburg geborenen Gregor Hildebrandt, - seit 2015 ist er Professor für Malerei und Grafik an der Akademie der Bildenden Künste in München -, läuft noch bis zum 18. November. Auf den drei Etagen im Ex-Bunker wickelt und entwickelt der raumbezogene Parcours, was das Zeug hält, das in diesem Fall Kassettenbänder und Videotapes aus der biografischen Musik- und Klangwelt des Künstlers sind. Nur Kompositionen, nur Filme, die Gregor Hildebrandt mag, - in der Musik sind das „The Cure“, „Einstürzende Neubauten“, „Tocotronic“, aber auch Constantin Wecker und Opernmusik von Willibald Gluck - haben die Chance aufs Ausstellungsparkett. Ästhetisch überformt natürlich, denn seine Arbeit begreift der Mann als „einen konzeptuellen Umgang mit Malerei“. Entsprechend abstrakt und noch mehr minimalistisch finden sich die analogen Datenspeicher aus vordigitaler Zeit in komplizierter Klebe- und Abrisstechnik auf Leinwand appliziert, zu dunkel spiegelnden Flächen verklebt, zum Epoxidharz-versiegelten Ornament fürs Fußboden-Paviment gerollt oder mit tausenden skulptural verarbeiteten Vinyl-Platten konfrontiert. Getauft wurden die stylisch wirkenden Objekte mit anspielungsreichen Namen wie „Dance me to the end (Leonhard Cohen)“ oder tragen nach einem Song der New-Wave-Band „Police“ den klangvollen Titel „Message in a bottle“. Nicht nur vermutlich, sondern tatsächlich sind Audio- und Videostücke auf den archaischen Datenträgern gespeichert: unsichtbar anwesend im Raum, imaginär ins Ohr kriechend.
Sie ahnen es schon: „Tönend hallt die Jugend“ basiert auf der Frage: Wie visualisiert man Musik? Und was hat das wiederum mit Zeit und Ewigkeit, mit Historie und Vergänglichkeit zu tun? Gregor Hildebrandt ist da ein ganz ausgezeichneter Spezialist fürs Angebot „das Unhörbare hören und das Unsichtbare sehen lassen“.
Entweder so, wie es der Künstler handfest praktisch praktiziert, indem er Tonträger, oft tausende Meter, zu reflektierenden Bildern, zu raumbezogenen Installationen irgendwo zwischen Pop Art und Minimalismus umwandelt, samt und sonders der darauf gespeicherten Songs. Oder indem er uns Titel rüberschickt, die Vorstellung und Vision ans Arbeiten bringen: „Tönend hallt die Jugend“. Und Zack ist es vorbei mit der Stille im Kopf. Gregor Hildebrandt nennt das „Aufladung“. Es ist die vierte Dimension seiner Kunst.
Wie bitte? Ja sehen Sie, dass sind buchstäblich unsichtbare Fallstricke. Nicht nur Sie stolpern drüber. Beim Presserundgang ging das Feeling um, mit dem außergewöhnlichen Ausstellungstitel einem ungewöhnlichem Motto – sogar ein bisschen aus der Zeit gefallen klingend – ausgesetzt zu sein, mitten auf weiter Flur zwischen Melancholie, Pathos, Blues und der Empirie eigener Erinnerungen: „Tönend hallt die Jugend“. Mit Speck fängt man Mäuse. Mit Ausstellungstiteln unter Umständen ein Publikum.
Jedenfalls knipst Hildebrandts Ausstellungstitel das Emo-Echo an. Was Emotionen pur, großes Kopfkino auf der Zeitreise zurück in frühe Klangkosmen der eigenen Geschichte bedeutet: „Tönend hallt die Jugend“. Wo dann Pogo und Punk, Rock, Reggae und New Wave, Pop, Gothic, Underground, Genesis, Santana und Bob Dylan und die vielen Streams dazwischen, die aus Allem alles mixen, am Horizont auftauchen. Das triggert, - jeden und jede anders und viele ähnlich beim Blick auf die cool glatten Oberflächen aus Tape- und Videobändern. Es sei denn, man hat es nicht so mit dem Groove.
Aber selbst in diesem Fall hat die Gregor Hildebrandt-Schau Charme: Man sieht viel, hört nichts und schwelgt in tiefschürfenden Kulturreflexionen, was das Hören von Musik einst mal gewesen ist, als es noch anders als heute war, manche meinen auch, noch wirklich was war, weil es Schallplatte, Kassette und Video gab, bevor sie flächendeckend wegdigitalisiert wurden. Sie wissen schon, die Sache mit dem „ehrlichen“ Sound der Vinylscheibe auf dem Dual-Plattenspieler. Und so holt Gregor Hildebrandt mit den verformten Platten, den zum „80. Stockwerk“ verbauten Kassettenhüllen in Holzkästen und den zwischen schwarz und braun changierenden Video- und Kassettentonbändern sowas wie abgefederte Nostalgie ins Haus.
Doch ob man ihn einen Beschwörer des Imperfekts nennen kann? Einen, der uns die lustvolle Mühe einer Verweisforschung aufgrund von leise raunenden Ausstellungs- und Bildtiteln zutraut?
So oder so, „Tönend hallt die Jugend“ packt mit buchstäblich verrückten Bruchstücken jenseits von `Digitalisiert euch!` zwischen Sehnsuchts-Glam und Poesie-Kalkül nüchtern, kühl und originell an, beamt zurück in die eigene Vita, geht zurück auf Anfang, als Gregor Hildebrandt, der inzwischen als „einer der aufregendsten jungen Künstler des Landes“ vorgestellt wird, eine allererste Ausstellung stemmte. 2002 ist das gewesen, in Berlin. Die aktuelle in Recklinghausen ist Gregor Hildebrandts erste große Museumsausstellung.
Und jetzt raten Sie mal, wie die Berliner Premierenschau vor sechzehn Jahren hieß? „Tönende Jugend“, was eine Übersetzung des Band-Namens der New Yorker Musikgruppe „Sonic Youth“ ist.
Von wegen, dass Titel nebensächlich sind.
